Theologische Hochschule Pastoralinstitut

Priesterseminar St. Luzi / Seminario S. Lucio

Zum Sakrament der Priesterweihe

Von Josef Annen

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Jahrhundertelang waren Wesen und Aufgabe des Priesters in der katholischen Kirche unbestritten. In den letzten fünfzig Jahren ist diese Selbstverständlichkeit ins Wanken gekommen. Das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen ist neu entdeckt worden und hat das besondere Priestertum in die Krise gebracht. Diese Krise hat auch gut getan. Namhafte Theologen und das kirchliche Lehramt haben die Herausforderung angenommen und die Identität und das Profil des katholischen Priesters neu formuliert. Es ist inzwischen wieder einfacher geworden zu sagen, wer der Priester ist, was er zu tun hat und wozu er geweiht wird.

Wozu weiht der Bischof immer noch Priester? Es genügt doch, genügend Laien für den Dienst am Volk Gottes zu beauftragen. Solche oder ähnliche Ansichten sind nicht selten zu hören. Richtig daran ist, dass kraft der Taufe und Firmung jeder Christ und jede Christin teilhat am dreifachen Amt Christi, am Amt des Propheten, des Priesters und des Hirten. Alle Glieder der Kirche sind von Gott berufen, den Glauben zu verkünden (Prophetenamt), ihr Leben Gott zu schenken und ihm zu danken (Priesteramt) und für das Gottesvolk zu sorgen (Hirtenamt).
Aber kein Glied der Kirche kann sich diese Berufung selber geben. Es ist Christus selber, der ruft und sendet. Er ist das Haupt der Kirche, wir alle sind Glieder an seinem Leib. Darum ist die Kirche niemals eine Organisation, die sich selber konstituiert, sie entsteht und lebt vielmehr aus der Initiative Gottes selber. Nach guter christlicher Theologie geht die Kirche aus der Seitenwunde Christi hervor, die Sakramente entspringen seinem durchbohrten Herzen.

Diesen göttlichen Ursprung der Kirche zu bezeichnen und darzustellen, ist das Wesen des priesterlichen Dienstes. Der Priester ist berufen und gesendet, durch seinen Dienst und seine Existenz dem Volk Gottes zu zeigen, dass die Kirche aus Christus hervorgeht und in ihm ihren Grund hat.

Gott wirkt in jedem Sakrament an uns. Durch das Sakrament der Priesterweihe will Christus im Leben des Priesters zur Darstellung kommen. In der Theologie sprechen wir darum auch von der Repräsentation Christi durch den Priester. Dem lässt sich entgegenhalten: Christus im Leben darstellen, das sei doch die Berufung eines jeden Christen und einer jeden Christin. Das ist richtig. Doch stellt der Priester Christus in spezifischer Weise dar, nämlich öffentlich vor der ganzen Gemeinde und auf Dauer. Am augenfälligsten kommt dies in der Eucharistiefeier zum Tragen. Hier stellt der Priester vor der ganzen Gemeinde dar, dass Christus uns zur Versammlung ruft, dass er der Gastgeber und die Gabe selber ist. Nach der Priesterweihe überreicht der Bischof dem Neugeweihten Brot und Wein und sagt: „Empfange die Gaben des Volkes für die Feier des Opfers. Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.“ Das kann nicht unter dem Niveau der Lebenshingabe geschehen. Christus darstellen fordert den ganzen Menschen.

Die Aufgabe des Priesters ist wesentlich ein Dienst am Volk Gottes. Der Priester verweist die Gemeinde auf ihre Mitte: auf Christus. Er tut dies, indem er das Evangelium verkündet, die Sakramente spendet und die Gemeinde als Hirte leitet. Die Bedeutung der Repräsentation Christi kommt nicht zuletzt im Hirtenamt zum Tragen. Gemeinde leiten ist mehr als Organisation und Management. Die Gemeinde leiten meint immer: Der Gemeinde Orientierung geben, den Verlorenen nachgehen, die Schwachen stärken und sich nach dem Beispiel des Guten Hirten brauchen lassen.

Der Bischof spendet das Sakrament der Priesterweihe durch Gebet und Handlauflegung. Bei der Handlauflegung ist Stille angesagt, heilige Stille. Es soll deutlich werden: Es ist Gott, der Menschen ruft und sendet. Dieser Ruf und diese Sendung sind radikal und attraktiv zugleich. Vermögen sie auch heute die Herzen junger Menschen anzusprechen?

Doch, so fragen viele: Ist es überhaupt legitim, Männer in diese Sendung hineinzustellen? Müssten nicht zuerst die Zulassungsbedingungen zum Priesteramt geändert werden?

Die berechtigte Diskussion um die Änderung der Zulassungsbedingungen hat in weiten kirchlichen Kreisen zu so etwas wie einem Moratorium in der Werbung für den Priesterberuf geführt. Es ist, als wolle man jungen Menschen diesen Beruf nicht zumuten, solange nicht die Zulassungsbedingungen verändert sind. Das ist eine Einstellung, die in die Sackgasse führt. Was geschieht in der Zeit bis zur allfälligen Änderung der Zulassungsbedingungen? Sollen die Gemeinden auf den Priester verzichten? Das kann wohl im Ernst nicht unser Ansinnen sein. Die Gemeinde braucht den Dienst des Priesters, weil sie ihr Leben nicht zuletzt aus den Sakramenten schöpft. Die Gemeinde braucht Menschen, die beauftragt sind, Zeugen der Gnade zu sein. Darum ist es Gebot der Zeit, die Zurückhaltung in der Werbung für Priesterberufe aufzugeben. Wir sind als Kirche jetzt gefordert, den Menschen, die nach Lebenssinn und tragenden Werten suchen, die Liebe Gottes zu bezeugen. In diesem Zeugnis für die Welt sind wir als Kirche auch auf den Dienst des Priesters angewiesen. Dieser Dienst am Volk Gottes ist auch unter den gegebenen Umständen für junge und weniger junge Menschen attraktiv. Es gibt sie auch heute: Männer, die bereit sind, Jesus in radikaler Weise zu folgen und durch den Beruf als Priester zu zeigen, dass wir alle aus Gottes unverdienter Gnade leben.

24.10.2006